Es ging zu Lisa, die auf einem kleinen Hof in einer Bauerschaft ihre Kindheit verbracht hat. Sie ist vor drei Jahren fürs Studium von Bösensell nach Osnabrück, an den Stadtrand gezogen. Dadurch fiel ihr es etwas schwerer als andere den Anschluss zu bekommen. Wie sich die Veränderung damals angefühlt hat und ob sie mit der Situation zufrieden ist, habe ich in unserem Gespräch erfahren.
Ich wurde ausgesprochen herzlich empfangen. Bevor ich zu Lisa gefahren bin, wurde ich sogar nach meinem Lieblingskuchen gefragt. Als ich dann ins Wohnzimmer ging duftete es herrlich nach Käsekuchen...
Erzähl doch mal kurz warum du vor drei Jahren weggezogen bist.
Ich hatte mir vorgenommen Rechtswissenschaften zu studieren und wollte dafür allerdings nicht wegziehen. Aus diesem Grund habe ich mich nach Universitäten umgeschaut, die in unmittelbarer Nähe waren. Das erste Jahr bin ich dann zwischen Osnabrück und meinem Dorf gependelt. Doch jeden Tag musste ich insgesamt drei Stunden für die Uni fahren. Auf Dauer wurde mir das zu anstrengend und ich bin nach Osnabrück gezogen. Nachdem ich letztes Jahr mein Grundstudium abgeschlossen habe, bin ich für meine weitere Studienzeit nach Münster gegangen. Wieder an den Stadtrand.
Wie war das Stadtleben für dich?
Ich wollte weiterhin die Ruhe, wie ich sie kenne und bin daher an den Stadtrand gezogen. Dort haben viele ältere Leute gewohnt und wenige Studenten. Ich bin viel draußen unterwegs und gehe jeden Tag spazieren oder laufen. Trotzdem fehlte mir mein kleiner Hof Zuhause und so habe ich jede Gelegenheit genutzt um nach Hause zu fahren. Wenn es mir mal zu viel wurde, habe ich mir die Auszeit genommen und bin nach Hause gefahren. Zur Entspannung habe ich Zeit mit meinen Pferden verbracht um danach mit voller Energie wieder an den Schreibtisch zu gehen. Hier habe ich einfach immer absolute Ruhe.
Lisa streichelt die "alte Dame", die mittlerweile schon 30 Jahre alt ist.
Wie haben die anderen Studenten darauf reagiert?
Alle fanden es komisch, dass ich an den Stadtrand gezogen bin. Die Leute aus der Uni haben in der Stadt gewohnt und wollten nicht den weiten Weg raus zu mir fahren. Doch was ist schon weit? Ich bin damals die fünf Kilometer über die Feldwege nach Hause gelaufen, weil nichts mehr gefahren ist. Es fiel mir schon schwerer mich zu integrieren. Trotzdem war ich sehr zufrieden. Wenn die anderen ins Kino gegangen sind, brauchte ich einfach etwas mehr Vorlauf. Ich bin dann lieber mit dem Bus in den Trubel gefahren und war froh, wenn ich später wieder meine Ruhe hatte.
Ich bin gerne in der Stadt. Möchte gerne in der Stadt arbeiten, aber nicht dort wohnen.
Hast du dich ausgegrenzt gefühlt?
Natürlich fand ich es schade, dass die Leute mich nicht so oft besucht haben. Doch dann bin ich einfach öfters in die Stadt zu den Leuten gefahren und konnte trotzdem dabei sein. Das war kein Problem für mich. Ich würde es wieder so machen!
Hat sich das schnell im Dorf rumgesprochen, dass du weggezogen bist?
Die direkten Nachbarn wussten schnell Bescheid. Meine Eltern wurden öfters gefragt, was denn die Kinder machen. Wie das hier eben so ist. Einer bekommt es erzählt und dann weiß der ganze Ort Bescheid. So war es eben auch bei mir und es hat schnell jeder mitbekommen.
Du warst trotz Studium oft Zuhause. Hast du überlegt zurückzuziehen?
Wenn ich ein Auto hätte würde ich sofort zurück gehen. Wahrscheinlich aber dann nur in den Ort und nicht ganz zurück auf den Hof zu meinen Eltern.
Früher waren deine Freunde nebenan. Nun bist du schon etwas länger raus aus dem Dorfgeschehen. Wie ist der Kontakt zu deinen alten Freunden?
Viele kenne ich noch seit der Grundschule. Früher sind wir hier mit dem Bus durch die Bauerschaft gefahren. Dadurch kannte man im Umkreis alle hier. Mittlerweile sind doch einige fürs Studium weggezogen und ich bekomme hier im Dorf nicht mehr so viel mit. Von den alten Freunden höre ich teilweise nur ein bis zwei Mal im Jahr etwas. Immer, wenn ich fürs Osterfeuer oder Maibaum aufstellen im Dorf bin, hoffe ich alte bekannte Gesichter zu treffen.
Dann hast du deine Kindheit als schön empfunden?
Bis zur Pubertät war alles total schön, doch dann habe ich immer gemerkt wie schwer es ist andere Freunde zu besuchen. Da mussten wir uns anders behelfen und haben dann oft außerhalb geschlafen. Auf der anderen Seite haben uns viele beneidet, denn auf dem Hof war absolute Ruhe. Wir konnten dadurch ohne Probleme Partys feiern.
... oder damals zelten im Garten. Lagerfeuer mit Freunden. Wirklich schöne Momente.
Ich musste gar nicht so sehr raus, deswegen wollte ich fürs Studium auch in der Nähe bleiben. Ich war auch nicht, wie viele andere, im Ausland. Ich wollte es einfach nicht. Vielleicht habe ich mich nicht getraut, aber ich habe auch nicht das Gefühl, dass ich etwas verpasst habe. Die anderen sagen, dass man mal raus und ins Ausland muss. Ich sage, dass ich nicht weniger glücklich bin als die.
*Die Probleme, die Lisa sehr gut beschreibt, kenne ich besonders als Jugendlicher. Ich komme von einem Dorf mit 300 Einwohnern. Der Bus fährt dort nur jede Stunde, am Samstag bis mittags und am Sonntag nicht. Irgendwie ist man dort immer etwas außen vor, wenn die Freunde aus den umliegenden Orten kommen und dort schon eine feste Clique sind. Mal schnell woanders hinzufahren ist mit Aufwand und Planung verbunden. Als junger Bengel fühlt es sich im Grunde so an, wie jemand der untrainiert einen Marathon laufen möchte. Es ist nicht unmöglich, aber die Hürde ist sehr groß und die wenigsten machen es.
Zu dem Thema, dass man ins Ausland gehen müsste, möchte ich auch noch einige Worte schreiben. Wir haben das große Glück in der heutigen Zeit unglaublich viele Möglichkeiten zu haben. Dies birgt allerdings andere Probleme. Wichtig ist zu sagen, dass niemand in der Pflicht ist diese alle wahrzunehmen. Ganz im Gegenteil. Es ist deutlich schwerer geworden den für sich richtigen Weg zu finden. Für einige Leute gehört es mittlerweile zum Muss, ins Ausland zu gehen und sich selbst zu finden... Ich reise gerne, aber ich bin immer wieder froh in meine beständige Umgebung zu kommen, in der ich mir einiges aufgebaut habe. Versteh mich bitte nicht falsch. Ich finde es nur schade, dass viele Leute es als Pflicht sehen und andere belächeln, wenn diese lieber sich in ihrem Zuhause etwas aufbauen wollen. Am Ende zählt, dass beide mit ihrer Situation glücklich sind. Sollte dies nicht der Fall sein, so müssen sie was ändern. Vielleicht geht der eine doch noch ins Ausland und der andere hat sich so weit gefunden, dass er nun weiß was er denn mal lernen möchte...*