Ich war zu Gast bei Marlis Schmidt, die seit 73 Jahren in Heeren-Werve lebt und noch nie länger als drei Wochen von Zuhause weg war. Vor ihrer Zeit als Rentnerin war sie im Gemeindebüro der evangelischen Kirchengemeinde tätig. Das Haus, in dem sie damals geboren wurde, liegt gegenüber von ihrer alten Arbeitsstätte. Ich frage mich wie es wohl ist, wenn man sein ganzes Leben im selben Ort verbracht hat und unterhalte mich darüber mit ihr bei einem Kaffee.
Was hat Heeren-Werve an sich, dass du seit deiner Geburt hier lebst?
Meine Familie, Verwandtschaft und noch viele meiner alten Schulfreunde leben hier. Ich weiß noch als wir früher hinten am Fluss Schlittschuhe gelaufen sind oder als sich immer alle auf einem kleinen Hügel getroffen haben. Wenn einem Langweilig war, dann wusste man immer, dass dort etwas los ist. Noch heute treffe ich meine alten Freunde im Dorf. Alles ist bekannt und vertraut. Dieser Ort erzählt für mich viele Geschichten, genauso wie das Haus in dem ich seit über fünfzig Jahren mit meinem Mann lebe.
Mit Anfang Zwanzig hast du die Verantwortung für ein Haus übernommen?
Das hat sich so ergeben. Damals, 1966, habe ich das Haus zusammen mit meinem Mann übernommen. Zuvor stand das Haus leer, weil meine Großmutter gestorben ist. Meine Eltern waren Küster bei der Kirchengemeinde und mussten daher in die Dienstwohnung ziehen. Das Haus hat angefangen immer mehr auseinander zu fallen und da haben wir den Entschluss gefasst alles auf den Kopf zu stellen. Wir haben hier alles in Eigenleistung und Handarbeit nach unseren Vorstellungen umgebaut.
Damals war das Haus noch eine alte Poststelle
Dir war schon früh klar, dass du hier bleiben möchtest.
Ich hänge hier an diesem Ort und dem Haus. Wenn ich ins Dorf gehe, treffe ich immer jemanden. Außerdem sind sogar meine Kinder hier aufgewachsen und ich hätte mir nichts schöneres wünschen können. Woanders ist es vielleicht auch schön, aber das Vertraute ist mir wichtiger.
Aber es gab doch sicherlich mal den Drang, doch woanders hinzugehen?
Nein. Ich war auch nie lange woanders, weil ich das nicht wollte. Ich hatte sonst schnell Heimweh und war froh, wenn ich meine Kirche hier wiedergesehen habe. Heutzutage gibt es die Möglichkeit überall zu sein, doch mir reicht es für einen Urlaub. Meine Arbeit hatte ich hier ja auch, die ich nicht einfach aufgeben wollte.
Du meinst hier in der Nähe?
Ne, ich meine schon hier im Dorf. Direkt gegenüber von meinem Zuhause hatte ich das Büro und war dort als Gemeindesekretärin tätig.
Marlis Schmidt vor dem Gemeindebüro, in dem sie noch bis vor 12 Jahren gearbeitet hat
Hier hat sich wirklich alles abgespielt. War das alles nicht zu sehr auf einem Fleck?
Manchmal schon. Es gab Situationen, da sind die Leute zu mir nach Hause gekommen, weil sie mich im Büro nicht angetroffen haben. Doch es hat mich auch nicht so sehr gestört.
Ich merke richtig, wie sehr du dich hier wohl fühlst. Du hast damals für dich definitiv dich richtige Entscheidung getroffen.
Ich und mein Mann wussten schon sehr früh, dass es der richtige und schönste Weg für uns ist. Ich finde es nur schade, dass mittlerweile auf der Straße vor unserem Haus so viel Verkehr ist. Damals konnten wir dort noch auf der Straße spielen. Heute ist das leider nicht mehr so.
Gibt es etwas, dass du am Dorfleben besonders schätzt?
Absolut. Wenn ich aus dem Urlaub wiederkomme, die Kirchenglocken läuten und ich draußen auf meiner Terrasse sitze, weiß ich, dass ich wieder Zuhause bin. Ich mag die Vertrautheit und alles zu kennen. Außerdem liebe ich es hier am Dorf, wenn die Verwandtschaft oder der Nachbar einfach ohne Einladung vorbeikommt. Hier stehen die Türen immer offen. Man fragt nicht. Man kommt einfach. Dann gibt es ein Bier und ne Grillwurst für jeden.
Ich kann dich total verstehen. Das macht das Dorfleben aus.
Ich bin zwar noch nicht weit gekommen, aber ich sitze hier lieber mit meinen 73 Jahren und habe meine Familie um mich. Der Gedanke aufgrund des Alters hier mal aus meinem Haus ausziehen zu müssen, macht mich traurig. Doch dann hoffe ich, dass dieses Haus auch in der Zukunft noch viele Geschichten meiner Familie erzählen wird.
*Das Dorfleben verbinde ich auch mit Vertrautheit und Geschichten, die über Generationen hinweg erzählt werden. Das Haus, wo schon Opa aufgewachsen ist und die Schaukel im Garten, wo mein Vater schaukeln gelernt hat, ist heute ein zentraler Treffpunkt für die ganze Familie. Ich empfinde daher, alles was Marlis erzählt hat, total nach.
Sie ist zwar noch nicht weiter über die Dorfgrenzen gekommen, aber ihre Worte zeigen mir, dass sie jemand ist der sich um ihr Umfeld sorgt und sich um die Leute kümmert. Das ist für mich weiter als jeder andere, der die Welt bereist hat. *